Neue Rechte, altes Denken – Die liberale Demokratie und ihre Gegner

Bundes­archiv-Bild-119‑1983-0006 Berlin, Kapp-Putsch 1920

Unser Projekt beleuchtet die Ideen­ge­schichte der antili­be­ralen Revolte von den 20er Jahren bis heute. Eine Handreichung.

Die liberale Demokratie steht unter Druck. Von außen durch selbst­be­wusst auftrump­fende autoritäre Regimes, von innen durch eine antili­berale Gegen­be­wegung, die in Amerika und einigen europäi­schen Staaten bis in die Regierung durch­schlägt. Von einer „Lust zum Untergang“ sprach Bundes­prä­sident Frank-Walter Stein­meier in seiner Eröff­nungsrede auf dem Polito­logen-Kongress 2018. Er warnte vor „einer sozial-morali­schen Rage, mit der Gruppen regel­recht gegen­ein­ander in den Kultur­kampf ziehen“.

Die Revolte gegen die offene Gesell­schaft, gegen kultu­relle und ethnische Vielfalt, demokra­tische Gleichheit und Weltof­fenheit hat eine lange Vorge­schichte. Ihren Höhepunkt erlebte sie in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen. Völkisch-natio­na­lis­tische Vordenker eines „Dritten Reichs“ hatten maßgeb­lichen Einfluss auf die öffent­liche Meinung. Autoren wie Armin Moeller van den Bruck, Oswald Spengler, Carl Schmitt und Ernst Jünger prägten den antili­be­ralen Zeitgeist. Ihr Wesen sei Verhandeln, klagte Carl Schmitt über die liberale Demokratie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhun­derts. Parla­men­ta­rismus, Gewal­ten­teilung und univer­selle Rechte seien Erfin­dungen des Libera­lismus, dagegen sei Demokratie an einen homogenen Volks­körper gebunden. Über „Artfremde“ schrieb Schmitt, sie würden „anders“ denken und müssten vom politi­schen Prozess ausge­schlossen werden. In Ungarn verkündet Viktor Orban heute stolz das Zeitalter der „illibe­ralen Demokratie“. In Italien ist eine ultra­rechte, offen fremden­feind­liche Partei an der Regierung.  Auch zeitge­nös­sische antili­berale Ideologen wie Alexander Dugin oder Alain de Benoist beziehen sich auf die geistigen Vorkämpfer gegen die Demokratie der Zwischenkriegszeit.

Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik

Unser Projekt fällt zusammen mit dem 100. Jahrestag der Gründung der Weimarer Republik am 9. November 1918. Auch wenn sich Geschichte nicht wiederholt, erinnert die heutige Debatte an die geistigen und politi­schen Kämpfe um die erste demokra­tische Republik in Deutschland. Dass die NS-Bewegung die Weimarer Republik überrennen konnte, lag nicht nur an der Weltwirt­schafts­krise und der Uneinigkeit der demokra­ti­schen Parteien. Hitlers Macht­über­nahme war nur möglich, weil große Teile der Gesell­schaft – gerade die Eliten in Wirtschaft, Justiz und Verwaltung – der liberalen Demokratie skeptisch bis feind­selig gegenüberstanden.

Die Funda­mente der Demokratie sind heute stabiler als in der Weimarer Republik. Das ist jedoch keine Garantie für die Zukunft. Populis­tische Bewegungen, antili­be­rales Denken und religiöser Funda­men­ta­lismus erfahren Zulauf. Ihre radikalen Ausläufer stellen sich offen gegen die freiheit­liche Gesell­schafts­ordnung. Identitäre Bewegungen versprechen Halt und Stärke in einer homogenen Gemein­schaft. Diese Phänomene sind Teil einer „antili­be­ralen Konter­re­vo­lution“ (Timothy Garton Ash), die nicht von allein wieder abebben wird. Die fundierte Ausein­an­der­setzung mit ihren tiefer­lie­genden Ursachen und ideolo­gi­schen Mustern ist Voraus­setzung für eine erfolg­reiche Präven­ti­ons­arbeit gegen religiösen und politi­schen Extremismus.

Diese langen Linien bewusst zu machen und Lehren aus dem Scheitern der Weimarer Republik zu ziehen, ist ein zentrales Anliegen des Projekts „Die liberale Demokratie und ihre Gegner“. Es wird vom Bundes­mi­nis­terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Rahmen des Bundes­pro­gramms „Demokratie leben!“ und der Bundes­zen­trale für politische Bildung gefördert. Über die histo­rische Dimension hinaus zielt es auf die aktuelle ideelle und politische Ausein­an­der­setzung. Die Verstän­digung über die Grund­lagen der liberalen Demokratie ist gerade für eine Einwan­de­rungs­ge­sell­schaft von heraus­ge­ho­bener Bedeutung, die sich immer wieder auf ihre norma­tiven Gemein­sam­keiten verstän­digen muss.

Die Extreme

Heute docken Zeitschriften wie die „Junge Freiheit“, das „Institut für Staats­po­litik“, völkische Vordenker wie Alain de Benoist oder der russische Polit­phi­losoph Alexander Dugin an die Tradi­tionen der „konser­va­tiven Revolution“ an. Mit dem Auftreten neuer Protest­be­we­gungen und politi­scher Parteien, die auch bürger­liche Schichten ansprechen, sind die Grenzen zwischen den radikalen Rändern des politi­schen Spektrums und der Mitte der Gesell­schaft porös geworden. Anschluss an national-konser­vative bürger­liche Milieus zu gewinnen ist ein strate­gi­sches Ziel der „neuen Rechten“.

Gleich­zeitig bahnt sich in zentralen politi­schen Streit­fragen eine neue Querfront zwischen Rechts­extremen und  einer populis­ti­schen Linken an. Das gilt für ihre ableh­nende Haltung gegenüber EU und dem trans­at­lan­ti­schen Bündnis, ihre Sympa­thien mit einem autori­tären, neoim­pe­rialen Putin-Russland, die Front­stellung gegen die Globa­li­sierung wie die polemische Gegen­über­stellung von Volk und Eliten.

Hier wie dort gilt die liberale Demokratie nur als Maske für die Herrschaft des globalen Kapitals. Ein natio­na­lis­tisch gefärbter Antika­pi­ta­lismus ist die gemeinsame Klammer, die schon in der Weimarer Republik die radikale Linke mit der extremen Rechten verband. Beide setzen das Kollektiv gegen die Freiheit des Indivi­duums. Es ist kein Zufall, dass eine Reihe promi­nenter Köpfe des rechts­extremen Lagers aus links­ra­di­kalen Strömungen der 70er Jahre kommen.

Auch der islamis­tische Extre­mismus ist eine Gegen­be­wegung zur liberalen Moderne. Er trifft unter Jugend­lichen zunehmend auf Resonanz. Der islamis­tische Vordenker Sayyid Qutb (1906–66) lastet dem westlichen Libera­lismus und seinen Verfüh­rungen an, dass weltweit Muslime in „Unwis­senheit“ (Dscha­hilīya) zurück­ge­fallen seien. Islamisten betrachten die liberale Gesell­schaft als gottlose, dekadente Verirrung. Ihnen geht es um die Formierung von Staat und Gesell­schaft nach Gottes Gebot. Ein buchstäblich verstan­dener, aus dem histo­ri­schen Kontext heraus­ge­löster Koran wird als Auffor­derung gelesen, dieses Ziel falls nötig mit Gewalt (Dschihad) durchzusetzen.

Die antili­be­ralen Gegen­be­we­gungen sind ein Reflex auf die Verun­si­cherung durch funda­mentale Verän­de­rungen: Globa­li­sierung, Digita­li­sierung der Lebens- und Arbeitswelt, weltweite Migration, die Erosion des Natio­nal­staats und die Auflösung der patri­ar­chalen Geschlecht­er­ordnung. Diese Entwick­lungen laufen parallel und mit hoher Geschwin­digkeit ab. Sie stellen alte Sicher­heiten in Frage und werden von Teilen der Bevöl­kerung als Bedrohung empfunden.

Wie in früheren histo­ri­schen Phasen ist die Rückwendung zur „natio­nalen Volks­ge­mein­schaft“ und zu „tradi­tio­nellen Werten“ eine Reaktion auf eine Periode beschleu­nigter Moder­ni­sierung. Die aktuell verwen­deten Denkfi­guren und Argumente stehen in der Konti­nuität der langen Linien der Antimo­derne: Gemein­schaft gegen seelen­losen Indivi­dua­lismus, nationale Identität gegen liberalen Univer­sa­lismus, Tradition gegen zerstö­re­ri­schen Fortschritt, autoritäre Führung gegen parla­men­ta­ri­sches Palaver, Kultur­pes­si­mismus gegen Fortschritts­denken, nationale Selbst­be­hauptung gegen Fremd­be­stimmung durch kosmo­po­li­tische Eliten.

Eine vertiefte, histo­risch aufge­klärte Ausein­an­der­setzung mit den ideolo­gi­schen Funda­menten antide­mo­kra­ti­scher Bewegungen findet bisher nur vereinzelt statt. Besondere Bedeutung kommt der histo­risch-politi­schen Bildung für junge Menschen zu. Sie befinden sich auf der Suche nach Orien­tierung und sind empfänglich für emotionale Botschaften, vermeintlich schlüssige Erklä­rungs­muster und radikale Identi­fi­ka­ti­ons­an­gebote. Insofern ist dieses Vorhaben auch ein Beitrag zur Extremismus-Prävention.

Ziele des Projekts

Das Vorhaben versteht sich als Beitrag zur Stärkung demokra­ti­scher Werte und demokra­ti­schen Engage­ments. Konkret geht es darum, die aktuelle Ausein­an­der­setzung mit den Gegnern der offenen Gesell­schaft in einen größeren histo­ri­schen Kontext zu stellen, die langen Linien antili­be­ralen Denkens heraus­zu­ar­beiten und die Kritik an diesen Denkmustern auf eine infor­mierte Grundlage zu stellen.

Die Ergeb­nisse der histo­ri­schen Aufar­beitung sollen in Form von Veran­stal­tungen, Publi­ka­tionen, einer infor­ma­tiven Website und multi­me­dialen Formaten an eine breite Öffent­lichkeit vermittelt werden. Podiums­dis­kus­sionen, ein Fachkon­gress und eine öffent­liche Abschluss­ver­an­staltung dienen der vertieften Diskussion und der Vermittlung der Projekt­er­geb­nisse an Medien und Multiplikator/​innen.

Ein prakti­sches Ziel des Vorhabens ist es, fachliche Unter­stützung für andere Akteure des Bundes­pro­gramms „Demokratie Leben!“ zu leisten. Bildungs­trägern und zivil­ge­sell­schaft­lichen Initia­tiven vor Ort sollen Angebote zur inhalt­lichen Weiter­ent­wicklung ihrer Projekte, für eine bessere histo­rische Orien­tierung und fachliche Vernetzung vermittelt werden. Die Erkennt­nisse des Projekts sollen so aufbe­reitet werden, dass sie von lokalen Akteuren in ihrer Praxis angewandt werden können. Nicht zuletzt soll das Projekt auch Grund­la­gen­wissen für Journalist/​innen und Lehrkräfte bereit­stellen. Ein weiteres Anliegen ist der Aufbau eines Exper­t/innen-Netzwerks, auf das Akteure vor Ort bei Bedarf zurück­greifen können.

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